Lübeck, 19. Oktober 2020 – Die 62. Nordischen Filmtage Lübeck präsentieren in der Sektion „Nordic Shorts“ 24 Kurzfilme aus Nord- und Nordosteuropa, die in den vier Programmen „Männerabend“, „Europa, ein kurzes Exposé“, „Bestandsaufnahme des menschlichen Daseins“ und „Entfremdung“ gezeigt werden, darunter sind ganze 15 Filme, die in Lübeck ihre Deutschlandpremiere feiern sowie zwei Europapremieren.
„Das Jahr 2020 barg bisher viele Besonderheiten, Krisen und Unvorhergesehenes. Die Nordic Shorts blicken dabei auf eine Welt, die zwar noch unangetastet von einer globalen Pandemie war, aber nichtsdestotrotz mit zahlreichen Konflikten geziert ist. Sowohl erfahrene wie auch junge Filmschaffende widmen sich in ihrem Werk mit kritischem Blick der Beobachtung von Machtverhältnissen, den Perspektiven sozial marginalisierter Personen oder dem Verballhornen archaischer Strukturen. Sei es in Form oder Inhalt – die Kurzfilme aus den nordischen und baltischen Ländern bleiben unangenehm, eigenartig und merk-würdig – und bieten so immer wieder Lichtblicke“, so Sebastian Apel, Kurator der Kurzfilm-Sektion.
Das klassische Rollenbild des alten weißen Mannes hat ausgedient, so sind sich die diesjährigen Nordic Shorts einig. Einen kritischen Blick auf verschiedene Formen toxischer Männlichkeit werfen allen voran die Filme des Kurzfilmprogramms „Männerabend“. Da wäre der eigentlich reiche norwegische Sextourist in „The Manila Lover“ (NO/PH 2019), der aus einer Affäre mit einer vermeintlich armen Filipina eine europäisch-zentrierte Beziehung machen will, jedoch am sich umkehrenden Machtgefüge zerbricht. Beim Lokaltermin zur „Rekonstruktion“ (LT 2020) eines brutalen Mordes durch den Täter muss eine Kommissarin, die als einzige ernsthaft ihrer Arbeit nachgeht, erfahren, wie allein sie als einzige Frau unter empathielosen Männern ist. In zwei weiteren Filmen des Programms erzählen Frauen, wie ihr Leben von Männern erschwert wird: „Vorfälle – Heimweg“ (SE 2019) zeigt Szenarien einer konstanten Bedrohung: Eine Frau ist in verschiedenen Lebensstadien auf der Straße immer wieder übergriffigem männlichen Verhalten ausgesetzt. Und die Partnersuche der 60-jährige Sally in der Mockumentary „Grab them“ (SE 2020) wird dadurch erschwert, dass sie aussieht wie Donald Trump.
Die Filme des Programms „Europa, ein kurzes Exposé“ erkunden gesellschaftliche Gefüge und loten die Grenzen des Miteinanders aus. Im Kurzfilm „Play Schengen“ (NO 2020) soll ein Videospiel Kindern die Regeln des gleichnamigen Abkommens nahebringen, welches das scheinbar problemlose Überqueren innereuropäischer Landesgrenzen möglich macht. Doch am Ende müssen sich die Spieledesigner eingestehen: die Reisefreiheit ist nicht für jede:n grenzenlos. Auch im „Land der Freien“ (SE 2020) geht es um europäische Werte: Ist es ein Fall von Homophobie, wenn zwei Jungs auf einer Wiese knutschen und sich provoziert fühlen, als sie Passanten lachen hören? Und der „Weltglücksreport“ (FI 2020) schaut skeptisch auf ein Finnland, das zum zweiten Mal in Folge von den UN zum glücklichsten Land der Welt gewählt wurde. In einer experimentellen Collage aus Alltagsbeobachtungen und Bürgerkommentaren relativieren die Filmemacher:innen die überschäumenden Glücksgefühle ihrer Landsleute zwischen Sporttriumphen und Konsumrausch.
Das dritte Kurzfilmprogramm unternimmt eine „Bestandsaufnahme des menschlichen Daseins“ und beleuchtet Verfehlungen und Abgründe, ebenso wie Liebe und Gelüste. Der Film „Die Explosion eines Baderings“ (FI 2019) skizziert den Ausflug einer dreiköpfigen Familie in ein Freizeitbad. Sich streitend, verlieren die Eltern ihre kleine Tochter aus den Augen, die unbemerkt von der Bild- und Wasseroberfläche verschwindet. Ebenfalls in einem Hallenbad spielen sich auf humorvolle Weise die Szenen in „Der Schwimmer“ (SE 2020) ab. Zwei Polizeibeamte wollen einen Badegast vernehmen, der der Fahrerflucht verdächtigt wird. Doch der passionierte Schwimmer weigert sich partout, das Becken zu verlassen. „Der letzte Tag“ (FI/SE 2020) hingegen ist ein experimentelles Musical. Es erzählt in Gesängen von zwei Liebenden, die ihre letzten gemeinsamen 24 Stunden verbringen – mit Sex, Essen und Trinken und intimen Gesprächen. Und dann ist da noch der Supermarktkunde in „Entscheidung Nr. 30001“ (FI 2020), dessen Vorhaben, eine Packung Kekse zu kaufen in seinem Unterbewusstsein zu Widersprüchen führt, die bis zum bewaffneten Konflikt eskalieren.
Um „Entfremdung“ geht es in den Filmen des vierten Kurzfilmprogramms. So bei Vater und Sohn in „Krokodilstränen“ (DK 2020). Nach jahrelanger Abstinenz versuchen sie sich wieder zu begegnen und erreichen doch keine emotionale Verbindung. „Die Kommission“ (LT 2019) stellt sich der Frage, ob die litauische Sprache noch der Alltagssprache entspricht: Einblicke in die Arbeit der Staatlichen Kommission für die litauische Sprache, die seit Jahren im Mittelpunkt harter öffentlicher Auseinandersetzungen steht. Befremdlich wirken die „Potter’s Fields“ genannten Armenfriedhöfe in New York, auf denen Namenlose, Alleinstehende und Verarmte ihre letzte Ruhestätte finden, dargestellt in schwarzweißen Zeitrafferaufnahmen in „Waste no. 4 New York, New York“ (FI/US 2019). In absolut fremder Umgebung befindet sich schließlich zu guter Letzt ein Alien in „Zorg II“ (EE 2019), das zur Erde reist, um eine Karriere als Filmstar in Sci-Fi-Blockbustern zu starten.
Das Gesamtprogramm der 62. Nordischen Filmtage Lübeck steht ab 22.10.20 online auf der Festival Homepage. Der Kartenvorverkauf für Vorführungen in den Lübecker Kinos und Sonderspielstätten als auch für Online-Streams zu Hause beginnt am 1.11.2020 um 13 Uhr. Kino-Tickets gibt es online über www.nordische-filmtage.de sowie www.cinestar.de und an den Kassen im CineStar Filmpalast Stadthalle Lübeck. Streamtickets erhalten Sie dann über den Streamingpartner Culturebase. Aktuelle Meldungen auch auf den Social Media Kanälen Facebook, Twitter, Instagram / nordicfilmdays und dem Youtube Kanal.
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