Das Retrospektive-Programm der Nordischen Filmtage Lübeck steht fest: „Fishermen’s Films – Fischerei im nordischen und baltischen Kino 1912-2019“

18.09.20 – Die 62. Nordischen Filmtage Lübeck (04.- 08.11.2020) widmen sich in ihrer Retrospektive „Fishermen’s Films – der Darstellung der Fischerei im nordischen und baltischen Kino“. Kurator Jörg Schöning legt den Schwerpunkt auf Spiel- und Dokumentarfilme aus den Jahren 1912 bis 2019, welche diesen traditionellen Berufszweig zwischen Idylle und Industrie zeigen. Diese Retrospektive bringt den „Ostsee-Zyklus“ zum Abschluss, der 2018 mit „Baltic Transfer“ begonnen und 2019 mit „Undercover Nord/Nordost“ fortgesetzt wurde. Insgesamt werden im Programm der 62. Festivalausgabe circa 150 Filme in acht verschiedenen Sektionen präsentiert. Erstmalig findet das Festival als hybride Ausgabe statt, teils wie gewohnt – unter Einhaltung aller dann geltenden Covid-19 Vorgaben – in den Lübecker Kinosälen und Sonderspielstätten und teils via Streaming für Zuhause.

Dem Thema der Retrospektive gemäß, kommt auch in diesem Jahr erneut das „Hafenkino“ im historischen Schuppen 6 an der Untertrave zum Zuge. Dort werden Stummfilme, begleitet von erfahrenen Lübecker Musiker:innen mit gebührendem Abstand zum Publikum präsentiert: so der Film „Pat & Patachon am Nordseestrand / At the North Sea“ (Lau Lauritzen, DK 1927), musikalisch untermalt vom Folk und Weltmusik Duo PaBaMeTo. In ihm versuchen sich zwei dänische Landratten an der rauen Westküste von Jütland als Fischer, was nicht so recht glücken will. Ein zweiter Stummfilmabend widmet sich unter anderem dem frühen Melodram „Der Schatten des Meeres“ (Curt A. Stark, DE 1912) mit Henny Porten. Ebenfalls werden hier drei weitere Stummfilme zu sehen sein. Mit dabei der Film Der Fischindustrieort Schlutup und das Fischerdorf Gothmund“, entstanden zu Beginn der 1920er Jahre, der den Fokus auf den Standort Lübeck legt. Die vier Filme wird das bei den Filmtagen bestens bekannte TroubaDuo musikalisch begleiten.

Die Hansestadt Lübeck – wo der Firmengründer Rudolf Baader die erste Heringsentgrätmaschine der Welt entwickelte und so die Mechanisierung der Fischindustrie einleitete – nimmt in dieser Retrospektive insgesamt einen wichtigen Platz ein. Zum Ende des 20. Jahrhunderts porträtierte die Lübecker Regisseurin Serap Berrakkarasu in ihrem Dokumentarfilm „Ekmek parasi – Geld fürs Brot“ (1994) Arbeiterinnen der Hawesta-Fischfabrik in Lübeck-Schlutup, während die Hamburger Filmemacherin Leslie Franke in ihrer Reportage „Heringe am laufenden Band“ (1993) die Funktionsweise der historischen Fischfiletiermaschine „Baader 33“ und ihren Weg ins Hamburger Museum der Arbeit nachzeichnete.

Als klassische Fischfangnation ist auch Island mehrfach in der Retrospektive vertreten – unter anderem mit dem Eröffnungsfilm. In ihrem Spielfilmdebüt „Ingaló / Ingalo im grünen Meer“ (1992) erzählt die Regisseurin Ásdís Thoroddsen die Emanzipationsgeschichte einer eigenwilligen jungen Frau, die sich in der rauen Welt des Fischfangs behauptet – gespielt wird sie von Sólveig Arnarsdóttir. In ihrem zweiten Beitrag zur Retrospektive, dem Dokumentarfilm „Vedrabrigdi / Wetterwechsel“ (2015), untersucht Ásdís Thoroddsen die negativen Folgen der Fischereifangquoten in Island – ein Thema, das angesichts der aktuellen Diskussion um die Fangquoten in der Ostsee von besonderem Interesse ist.

Für unterhaltsame Spannung sorgen zwei Adaptionen von Vorlagen des isländischen Dramatikers Jón Atli Jónasson: der Hochsee-Thriller „Brím / Undercurrent“ (Árni Ólafur Ásgeirsson, IS 2010) und Baltasar Kormákurs „Seestück“ Djúpið / The Deep (IS 2012). Geschildert wird der „elementare“ Überlebenskampf eines 1984 gekenterten Fischers im eiskalten Wasser vor den Westmännerinseln. Sein packendes Drama mit dem überragenden Ólafur Darri Ólafsson ("Trapped - Gefangen in Island") hat Kormákur den isländischen Fischern gewidmet.

In die Vergangenheit führt auch das um 1900 auf einer kargen Fischerinsel vor der schwedischen Küste angesiedelte Sozialdrama „Leuchtfeuer“ (DD/SE 1954). In expressiven Schwarzweiß-Bildern und lebensechten Naturaufnahmen erzählt Regisseur Wolfgang Staudte in seinem letzten in der DDR gedrehten Film von einem Verbrechen aus wirtschaftlicher Not. Gedreht wurde DEFA-Produktion in Zusammenarbeit mit einem schwedischen Partner an Originalschauplätzen auf den Pater-Noster-Schären. Fischfang und -verarbeitung an Bord eines norddeutschen Trawlers der Gegenwart schildert der Fotograf Werner Lebert anschaulich in seinem Dokumentarfilm „Skagerrak – Auf Fangfahrt mit der J. von Cölln“ (DE 2019). 

„Von herausragender Qualität sind einmal mehr drei frisch restaurierte Spielfilme aus Estland“, freut sich Retrospektive-Kurator Jörg Schöning. „Veealused karid / Rocks Under Water“ (Viktor Nevežin, 1959) setzt sich kritisch mit Missständen in einem Fischereikollektiv auseinander; „Ühe küla mehed / Men From the Fisherman’s Village“ (Jüri Müür, 1961) gilt heute als filmischer Gründungsakt eines eigenständigen estnischen Nachkriegskinos. „Karge meri / The Smacking Sea“ (Arvo Kruusement, 1981) ist die atmosphärisch beeindruckende Verfilmung eines auch ins Deutsche übersetzten Romans von August Gailit („Das raue Meer“,1938).

Auf einer literarischen Quelle basiert auch das litauische Drama „Eine Frau und ihre vier Männer“ (LT 1984). In seiner Verfilmung eines ursprünglich auf Skagen angesiedelten Bühnenstücks des Dänen Holger Drachmann erzählt Algimantas Puipa von einer jungen Witwe, die Aufnahme im Haushalt eines Fischers und seiner beiden Söhne findet. Die große Bedeutung der Fischerei für die Kinematografien der nordischen Länder, ist in einem Werk aus Norwegen zu sehen: Dort wurde der erste Film des Landes überhaupt, das kurze, 1907 gedrehte und später verschollene Stummfilmdrama „Fiskerlivets farer / The Dangerous Life of a Fisherman“ 1954 noch einmal nachgedreht – seither gilt es geradezu als eine Ikone der norwegischen Filmgeschichte. Zu den entscheidenden Requisiten des norwegisch-deutschen Firmen- und Familiendramas „Når mørket er forbi / Passing Darkness“ (2000) von Knut Erik Jensen gehört auch die erwähnte historische Fischverarbeitungsmaschine, die von der vor 101 Jahren in Lübeck gegründeten Firma „Nordischer Maschinenbau Rud. Baader“ hergestellt wurde!

 

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