Das Dokumentarfilmprogramm der 61. Nordischen Filmtage Lübeck zeigt die unterschiedlichsten Facetten des Politischen: Weltpolitische Zusammenhänge, durch politisches Handeln geformte Biographien und neue Männerbilder

Lübeck, 15.10.2019 – „Die Probleme der globalisierten Welt sind vielschichtig und oftmals schwer zu deuten. Das Dokumentarfilmprogramm der 61. Nordischen Filmtage Lübeck beweist, dass die Filmschaffenden unterschiedliche Spuren verfolgen, besondere Blickwinkel und außergewöhnliche Gestaltungsmittel wählen müssen, um das Publikum für politische Zusammenhänge zu sensibilisieren. Besonders eindringlich zeigt sich das in diesem Jahr an Lebensgeschichten, die durch politische Ereignisse geprägt wurden“, bilanziert die Künstlerische Leiterin Linde Fröhlich. 17 der insgesamt 30 Dokumentarfilme im diesjährigen Programm gehen ins Rennen um den Dokumentarfilmpreis des DGB Bezirk Nord (seit 2019 dotiert mit 5.000 Euro). Mit dem Preis soll „die Arbeit von Regisseurinnen und Regisseuren, die sich innovativ mit Veränderungen in unserer Gesellschaft auseinandersetzen und sich sozialpolitisch besonders engagieren“, gefördert werden.

In „Cold Case Hammarskjöld“ (DK/NO/SE/BE 2019) geht Regisseur Mads Brügger der Frage nach den Hintergründen des Todes des UN-Generalsekretärs Dag Hammarskjöld, der 1961 bei einem Flugzeugabsturz im damaligen Rhodesien ums Leben kam, investigativ auf den Grund. War es ein Unfall oder doch ein Attentat? Der Isländer Grímur Hákonarson, der in diesem Jahr gleich mit zwei Filmen in unterschiedlichen Sektionen in Lübeck vertreten ist, erzählt in seinem Dokumentarfilm „Klein Moskau“ (IS/SK/CZ 2018) die Geschichte einer Kleinstadt an der Ostküste Islands, in der 50 Jahre lang Sozialisten das Sagen hatten. Seitdem sich in den 30er Jahren drei klassenbewusste Arbeiter aus den Fischfabriken in den Gemeinderat wählen ließen, dominierten hier kommunistische Ideale, an die Interviews und filmische Dokumente erinnern. In „Schule der Revolte“ (NO 2018) steht das Projekt des Forsøksgymnaset, einer fortschrittlichen Ganztagsschule, gegründet aus dem „Geist von ’68“ im Vordergrund. Filmemacherin Elsa Kvamme, selbst ehemalige Schülerin der Schule, lässt in ihrem Film ehemalige Mitschüler:innen und Lehrkräfte zu Wort kommen und in Erinnerungen an die Schule schwelgen, die noch bis 2004 Bestand hatte.

Wie sehr Biographien durch politisch motiviertes Handeln in einer der schlimmsten Formen geprägt werden können, zeigt der norwegische Dokumentarfilm „Die Unerwünschten(2018). Während des Zweiten Weltkriegs wurden 12.000 Kinder norwegischer Frauen und deutscher Soldaten geboren. Für sie begann mit dem Frieden der Albtraum. Beschimpft als Nazikinder, waren sie ausgestoßen und ungewollt in der Gesellschaft. Umrahmt von einer Erzählung Liv Ullmanns, brechen im Film von Regisseur Dheeraj Akolkar fünf dieser Kinder ihr Schweigen. „Die Tochter des Spions“ (LV/EE/DE/CZ 2019, Regie: Jaak Kilmi und Gints Grūbe) rekonstruiert ein Familiendrama aus dem Kalten Krieg. Eine junge Lettin besucht 1978 ihren Vater, der als KGB-Agent bei der UNO arbeitet, in New York und gerät in den Spionagezwist der beiden Großmächte. Besonders ergreifend ist das Schicksal der Überlebenden des Terrorakts auf der norwegischen Insel Utøya im Jahr 2011. In „Reconstructing Utøya“ (SE/DK/NO, 2018) von Carl Javér schildern vier der Jugendlichen, wie sie den Amoklauf eines Rechtsextremisten überlebten. Ein vergleichsweise nüchternes Reenactment macht das Unfassbare nachvollziehbar.

Einige Filme des Programms zeigen Aspekte von Migration und Multikultur aus neuen Blickwinkeln. Reetta Huhtanens Film „Die Götter von Molenbeek“ (FI/BE/DE 2019) beschreibt eine wundervolle Kinderfreundschaft zwischen zwei Sechsjährigen im Brüsseler Stadtteil Molenbeek, der in den Medien als Zentrum des Dschihadismus gilt. Der eine ist Muslim, der andere Sohn einer Finnin und eines Chilenen. Gemeinsam suchen sie in Mitten einer chaotischen Zeit nach Antworten auf die großen Fragen des Lebens. In „Q’s Barbershop“ (DK 2019, Regie: Emil Langballe) in einer Hochhaussiedlung im dänischen Odense bekommen die Kunden nicht nur spezielle Haartrachten von „House Party“ bis „MikeTyson“, sondern der Herrensalon ist Treffpunkt und Ersatzheimat für afrikanische Migranten, die in ihren Sprüchen und Geschichten ihre Träume und Ambitionen formulieren.

Auffallend viele Filme der Sektion thematisieren neue Männerrollen. In Joonas Berghälls „Der glücklichste Mann der Welt“ (FI 2019) berichten fünf Männer mit großer Offenheit von Trennungen und Verlusten, Ängsten und Versagen. „Weil wir harte Kerle sind“ (NO 2018, Regie: Petter Sommer und Jo Vemund Svendsen) erzählt die Geschichte eines Osloer Männerchores. Als sie als Opener für Black Sabbath auftreten sollen, erkrankt plötzlich der Dirigent an Krebs, und was als urige Rockumentary beginnt, nimmt rasch Züge eins sensiblen und ergreifenden Männerporträts an. Ein unkonventionelles Männerbild vermittelt auch der Job von Snorri Magnusson. Snorri ist Schwimmlehrer und animiert Babys und ihre Eltern zum gemeinsamen Schwimmen. Der Film „Snorri & der Baby-Schwimmclub“ (IS 2019, Regie: Elín Hansdóttir, Anna Rún Tryggvadóttir, Hanna Björk Valsdóttir) zeigt mit Bildern einer Unterwasserkamera und sphärischen Sounds, wie Snorri mit viel Empathie die ersten Schwimmversuche der Babys, gemeinsam mit ihren Eltern, unterstützt. In Boris B. Bertrams „Der Kriegsfotograf“ (DK/FI 2018) wird schließlich ein Mann, der sonst Kriegsschauplätze dokumentiert, an einen privaten Krisenherd gerufen: Als seine Ex-Frau erkrankt, muss er sich um die drei Kinder kümmern, ohne die Arbeit aufzugeben. 

Als Gäste erwartet werden beim Festival unter anderem: Grímur Hákonarson (Regisseur, „Klein Moskau“) und Elsa Kvamme (Regisseurin, „Schule der Revolte“), Dheeraj Akolkar (Regisseur, „Die Unerwünschten“) und Gints Grūbe (Regisseur und Produzent, „Die Tochter des Spions“), Reetta Huhtanen (Regisseurin, „Die Götter von Molenbeek“) und Emil Langballe (Regisseur, „Q’s Barbersgop“), Kari Anne Moe (Produzentin, „Weil wir harte Kerle sind“) und Hanna Björk Valsdóttir (Regisseurin und Produzentin, „Snorri & der Baby-Schwimmclub).

Die Programm-Pressekonferenz der 61. Nordischen Filmtage Lübeck findet am 17. Oktober 2019 statt. Danach steht das gesamte Programm online sowie Pressefotos zu den Filmen des Programms zum Download bereit. Der Kartenvorverkauf beginnt am 26.10.2019, die Preisverleihung findet am 02.11.19 statt. Alle Informationen zum Festival gibt es online unter http://www.nordische-filmtage.de oder als News auch auf den Social Media Kanälen Facebook, Twitter, Instagram/nordicfilmdays

 

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