Retrospektive: Undercover Nord/Nordost, Spione und Geheimagenten im skandinavischen und baltischen Kino 1913-2012 — Spannungskino aus dem Ostseeraum – mit zeitgeschichtlichem Background

17.09.19 - Die 61. Nordischen Filmtage Lübeck (29.10.-03.11.19) blicken in ihrer Retrospektive Undercover Nord/Nordost, Spione und Geheimagenten im skandinavischen und baltischen Kino, die 17 Filme (davon 15 Spielfilme und 2 mittellange Filme) umfasst, weit in die Vergangenheit zurück. Mit Filmen, die zwischen 1913 und 2012 in Dänemark, Deutschland, Finnland, Norwegen und Schweden gedreht wurden, sowie mit Produktionen, die vor Wiedererlangung ihrer staatlichen Unabhängigkeit in den damaligen Sowjetrepubliken Lettland und Estland bzw. im Rückblick auf diese Zeit in Litauen entstanden. Nicht allein um Spionage-Thriller handelt es dabei – auch Dramen, Melodramen, Komödien, Satiren und Historienfilme sind darunter. Überraschend oft stehen dabei Frauenfiguren im Zentrum der Filme – und zwar als aktiv handelnde Spioninnen.

Die »Küste der Spione« hat man die Gestade der Ostsee in Hinblick auf den »Kalten Krieg« der Jahre 1945-89 genannt. Doch nicht nur, als wenige Kilometer östlich von Lübeck der »Eiserne Vorhang« zwischen den Nato-Staaten und denen des Warschauer Pakts verlief, standen sich hier die Geheimdienste aus unterschiedlichen Interessensphären unmittelbar gegenüber. Frühe Stummfilme erinnern an die internationale »Spionitis« vor dem Ersten Weltkrieg – eine in Europa weit verbreitete Furcht vor der Unterwanderung durch Geheimagenten fremder Mächte. Exemplarisch stehen dafür die Filme S 1 (D 1913) mit Asta Nielsen oder Fürs Vaterland/For the Fatherland (SWE 1914). »In diesen Filmen wurden Stereotypen nationaler Feindbilder entworfen, die bis heute Wirkung zeigen, etwa das des ›verdächtigen Südländers‹«, sagt dazu Jörg Schöning, Kurator und Leiter der Retrospektive. »Sie propagierten einen zweifelhaften Patriotismus, und doch sind sie in sich widersprüchlich, was sie für uns Heutige immer noch interessant macht. In S 1 bangen wir mit einer jungen emanzipierten Frau, die sich gegen ihren Vater stellt, und in Fürs Vaterland schwingt sich ein Sami, der damals in Schweden als ›Paria‹ der Gesellschaft gilt, zum Helden der Handlung auf.« Künstlerisch beeindrucken kann auch das Spionagedrama Das geheimnisvolle X/Sealed Orders (DAN 1914), ein früher Film Noir des Dänen Benjamin Christensen.

Thematisiert wird zudem das prekäre Verhältnis zwischen dem unabhängig gewordenen Finnland und der benachbarten Sowjetunion (Der höchste Sieg/The Supreme Victory, FIN 1929). Die geheimdienstlichen Folgen des gemeinsamen Engagements von skandinavischen Widerstandskämpfern und russischen Partisanen gegen Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg stehen im Zentrum norwegischer Melodramen (Verbrannt vom Frost/Burnt by Frost, NOR 1997, sowie Eisige Küsse/Ice Kiss, NOR 2008, beide von Knut Erik Jensen). Widerstand gegen die Wehrmacht thematisiert auch die baltische Agentengroteske Wahnsinn/Madness (EST 1968).

Spannend und realistisch schildern Krimis aus Estland und Lettland wie Ungebetene Gäste/Uninvited Guests (EST 1959) oder Wenn Wind und Regen an dein Fenster schlagen/When Wind and Rain Hit Against Your Window (LET 1967) das Schicksal westlicher Agenten, die Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre von einer deutschen Schnellbootgruppe im Auftrag des britischen Geheimdienstes MI6 über die Ostsee in diese Länder eingeschleust wurden.

Die Entspannungspolitik der 1970er Jahre spiegelt sich in Spionage-Farcen aus Norwegen wieder. So in Pål Bang-Hansens Douglas (NOR 1970) und Erik Løchens Film Gegenvorstellung/Remonstrance (NOR 1972). Um Aktivitäten des KGB zu dieser Zeit geht es in Das weiße Schiff/The White Ship (EST 1970) und Die Kinder vom Hotel »Amerika«/Children from the Hotel »America« (LIT 1990). Umtriebe des sowjetischen Geheimdienstes sind gleichfalls Gegenstand aufwändiger internationaler Thriller aus den 1980er Jahren. Hier wären Inside Man - Der Mann aus der Kälte/The Inside Man (SWE/GB 1984), mit Dennis Hopper und Hardy Krüger sowie Orion's Belt (NOR 1985) zu nennen.

Wie intensiv die internationale Verquickung geheimdienstlicher Tätigkeiten war und wie stark sie auf das Alltagsleben ausstrahlen konnte, zeigt nachdrücklich der Eröffnungsfilm der Reihe: In der norwegisch-deutschen Ko-Produktion Zwei Leben/Two Lives (2012, Regie: Georg Maas) führen Liv Ullmann und Juliane Köhler eindrücklich vor Augen, was es für eine Familie bedeutete, wenn sie zum »Zielobjekt« eines ausländischen Geheimdienstes wurde – in diesem Fall des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.

Geheimdienstliche Tätigkeiten, die auf den internationalen Terrorismus der Gegenwart vorausweisen, offenbart als Abschlussfilm die schwedisch-deutsche Ko-Produktion Der demokratische Terrorist/The Democratic Terrorist von Per Berglund (1992). Der im Hamburg der späten 1980er Jahre angesiedelte Politthriller erzählt (nach dem gleichnamigen Roman von Jan Guillou) von einem schwedischen Agenten, der vom Verfassungsschutz in eine Gruppierung der Rote Armee Fraktion eingeschleust wird, um einen Anschlag auf die US-Botschaft in Stockholm zu verhindern. Neben Stellan Skarsgård als Carl Hamilton, dem »skandinavischen James Bond«, agiert mit Katja Flint, Susanne Lothar, Ulrich Tukur, Heikko Deutschmann, Rolf Hoppe, Günther Maria Halmer und Burkhard Driest auch ein beeindruckendes deutsches Ensemble.

Die Stummfilme der Retrospektive laufen, nach dem großen Erfolg im vergangenen Jahr, erneut im Hafenschuppen 6 (An der Untertrave). Musikalisch live begleitet von Schüler:innen der Musik- und Kunstschule Lübeck (unter Leitung von Sascha Sauberborn), von Student:innen der Musikhochschule Lübeck (Leitung: Prof. Franz Danksagmüller) und vom Lübecker TroubaDuo (Jana Nitsch & Marcus Berthold) samt Mitstreiter:innen.

Darüber hinaus beziehen sich thematische Schwerpunkte des 6. Lübeck Film Studies Colloquium auf die Filme der Retrospektive. Organisiert wird es in Zusammenarbeit mit dem »Journal of Scandinavian Cinema«. Dessen Herausgeber Anders Marklund, Dozent an der schwedischen Universität Lund, wird eine Sonderausgabe der Zeitschrift zu »Spionage-Aktivitäten in den nordischen Staaten« präsentieren können und das Thema in Diskussionen und Gesprächen mit internationalen Filmwissenschaftler:innen und interessierten Gästen vertiefen.

Und schließlich werden die Dänischen Filmkomponisten in der Lübecker Altstadt mithilfe holografischer Installationen zwischen den Passant:innen Spione und Geheimagenten aufscheinen lassen. Doch diese Undercover-Aktivitäten sind selbstverständlich … streng geheim !!!

Weitere Informationen zum Programm und den Filmen der 61. Nordischen Filmtage Lübeck auf der Homepage unter www.nordische-filmtage.de sowie News auf den Social Media Plattformen Facebook/Twitter/Instagram/nordicfilmdays. Der Kartenvorverkauf beginnt am 26. Oktober 2019.

 

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