Die Retrospektive der 60. Nordischen Filmtage Lübeck widmet sich dem Thema „BALTIC TRANSFER - Ostsee und Häfen des Nordens im Film“

Lübeck, 26.09.2018 – Im 60. Jahr der Nordischen Filmtage Lübeck (30.10.-04.11.2018), in dem zugleich die Hansestadt Lübeck ihr 875. Stadtjubiläum begeht, ist die Retrospektive Lübecks „überseeischen Beziehungen“, sowie der Ostsee und ihren Hafenstädten gewidmet. Die Spiel- und Dokumentarfilme, mehrheitlich vor der Jahrtausendwende entstanden, erzählen von Schiffspassagen und Fährverbindungen, Handelsschifffahrt und Seetouristik, aber unvermeidlich auch von kriegerischen Auseinandersetzungen und Fluchtbewegungen im 20. Jahrhundert. Neben maritimen Themen behandeln sie das Alltagsleben an Land: Löschen und Laden, Liebe und Arbeit, Hafenromantik und -realität.

Im Zentrum der Sektion steht dabei das „Hafenkino“: An vier Abenden sind an den Kaianlagen an der Untertrave im „Schuppen 6“ Stummfilme mit (vorwiegend) Live-Musik zu erleben. Sie erzählen von den alten „Heuerbüros“ in Lübeck (Baldevins Hochzeit, NOR 1926, R: George Schnéevoigt), in „Ruf des Meeres“ (Regie: Henryk Szaro) vom Kampf gegen eine Schmugglerbande in Gdingen (POL 1927), von dunklen Machenschaften im Hafenviertel Oslos (Café X, NOR 1928, Regie: Walter Fürst) und von illegalem Schnapshandel in den Kaschemmen von Tallinn (Wellen der Leidenschaft, EST 1930, Regie: Wladimir Gaidarow).

Während der diesjährigen Nordischen Filmtage Lübeck erfährt der schwedische Meisterregisseur Ingmar Bergman besondere Aufmerksamkeit, er hätte 2018 seinen 100. Geburtstag gefeiert. Dies spiegelt sich auch in der „Retrospektive“ wider, die mit Bergmans Milieustudie „Hafenstadt“ (SWE 1948) eröffnet wird, in welcher der Filmemacher auf überraschend realistische Weise von sozialen Außenseitern während der Nachkriegszeit in Göteborg erzählt. „Der Film zeigt uns einen Regisseur, der auf dem besten Weg, ist eine eigene Sprache zu entwickeln und persönliche Themen zu setzen“, erläutert Retrospektive-Kurator Jörg Schöning seine Auswahl. „Dabei orientiert sich Bergman deutlich an den damals international dominanten filmischen und philosophischen Trends in Europa: dem italienischen Neorealismus und dem französischen Existenzialismus. Vor dem Hintergrund einer Hafenstadt stellt er die Frage nach der Verantwortung des Individuums für sein Leben. ,Göteborg, offene Stadt‘ hätte sein Film auch gut heißen können.“

Lübecks finnische Partnerstadt Kotka ist mit dem nostalgischen Musikdrama „Harbour Brothers“ (FIN 2004) vertreten, der Geschichte eines Jazzclubs in den 1950er-Jahren. Ins Rotlichtmilieu einer finnischen Hafenstadt führt ein herzergreifendes Melodrama des finnischen Ausnahmeregisseurs Teuvo Tulio: „So wie du mich haben wolltest“ (FIN 1944) erzählt von erotischen Verlockungen und vom unaufhaltsamen Abstieg eines verführten Mädchens zur Hafenprostituierten. Der Hafen von Reykjavik ist Ausgangspunkt des isländischen Hochsee-Thrillers Reykjavik – Rotterdam: Tödliche Lieferung“ (ISL/NL/DE 2008), der 2012 unter dem Titel „Contraband“ ein Hollywood-Remake durch seinen Hauptdarsteller Baltasar Kormákur als Regisseur erfuhr.

Estland, Lettland und Litauen feiern in diesem Jahr ihre 100-jährige Unabhängigkeit. Passend zu diesem Jubiläum, sind auch erstmals die baltischen Länder an der Retrospektive beteiligt. Aus Litauen kommt das in den 1930er-Jahren spielende und Elemente des amerikanischen Film Noir aufgreifende Jugenddrama „Adam möchte ein Mensch werden“ (1959, Regie: Vytautas Žalakevičius). In erstaunlich modernen Bildern erzählt es von der Arbeitslosigkeit der Zwischenkriegszeit im Binnenhafen von Kaunas und zynischen Verbrechern, die vom Elend und Fernweh der Litauer profitieren. Aus Estland stammt das auf einer Fähre angesiedelte Gesellschaftsporträt „Die Mittagsfähre“ von Regisseur Kaljo Kiisk (1964), eine spannende Mischung aus maritimem Kammerspiel und Katastrophenfilm. Lettland präsentiert sich mit dem auf einem Fischtrawler spielenden Geschlechterdrama Trawler auf fremdem Kurs“ von Leonīds Leimanis aus dem Jahr 1964, dessen Hauptfigur sich von einer weiblichen Vorgesetzten herausgefordert sieht, und der zauberhaften Alltagsromanze „Ein Apfel im Fluss“ (LET 1974, R: Aivars Freimanis), die mit dokumentarischen Einsprengseln vom unbeschwerten Sommer eines Werftarbeiters und seiner Freundin auf einer Flussinsel in Riga berichtet. In seinem historischen Action-Krimi Feuerwasser“ (1994) widmet sich der estnische Regisseur Hardi Volmer einmal mehr dem regen Schmuggelverkehr zwischen den Anrainerstaaten der Ostsee.

Neben diesen Genrefilmen, die das Hafenmilieu und das Seefahrtsambiente als Hintergrund für spannende Verwicklungen und romantische Einlassungen nutzen, stellen Dokumentarfilme dramatische historische Ereignisse in den Mittelpunkt. „Der Fall Cap Arcona“ (DEU 1995) rekonstruiert die tragische Versenkung eines Schiffes mit KZ-Gefangenen im Mai 1945 durch die Royal Air Force in der Neustädter Bucht, während die schwedisch-norwegisch-polnisch-deutsche Produktion „Hafen der Hoffnung“ (2011) von Magnus Gertten an die Menschen erinnert, die aus Konzentrationslagern befreit und ab April 1945 mit Transporten des Internationalen Roten Kreuzes das schwedische Malmö erreichten.

Die Arbeitswelt zu Zeiten des einstmals noch florierenden Stückgutverkehrs über die Ostsee ist Gegenstand des 1976 in Lübeck gedrehten Dokumentarfilms „Hafenarbeit im Hafenbetriebsverein Lübeck“ (DEU 1977). Bjørn Breigutus mit inszenierten Passagen durchsetzter Dokumentarfilm „Gefahrenzone“ aus Norwegen entstand unter anderem an Originalschauplätzen in Hamburg: Der Regisseur warnt in seinem 1961 im Wettbewerb der Berlinale aufgeführten Film vor Gefahren des Alkoholismus, denen Seeleute an Bord und bei Landgängen in fremden Häfen ausgesetzt sind. Die stark veränderten Arbeitsbedingungen der Gegenwart thematisiert die schwedische, zum Teil im Autoterminal-Hafen Bremerhaven gedrehte Romanverfilmung „Yarden – The Yard“ (SWE/DEU 2016) von Måns Månsson, die einen Blick hinter die Kulissen eines Hafenbetriebs gewährt – und auf diese Weise die Retrospektive um aktuelle Aspekte ergänzt.

Am 2. und 3. November, dem Festivalfreitag und -samstag findet zum fünften Mal das „Lübeck Film Studies Colloquium“ im Rahmen der 60. Nordischen Filmtage Lübeck statt.  Unter der Leitung von Dr. Anders Marklund, Hochschuldozent an der Universität Lund und Chefredakteur des „Journal of Scandinavian Cinema“, diskutieren Wissenschaftler, Studenten und Filminteressierte in englischer Sprache rund um den nordischen Film. Dabei nehmen sie auch Bezug auf Filme der Retrospektive.

Die 60. Nordischen Filmtage Lübeck finden vom 30. Oktober bis 4. November 2018 statt. Auf der Programm-Pressekonferenz am 10.10.2018 werden die für das Festival ausgewählten Filme und Reihen, Special Events sowie zu erwartende Gäste vorgestellt.

Alle Informationen zu den Filmtagen und zum Programm sowie die Möglichkeit, sich zu akkreditieren, finden Sie online unter www.nordische-filmtage.de. Folgen Sie uns auch gerne auf unseren Social Media Kanälen Facebook, Twitter und Instagram unter nordicfilmdays.

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