Lübeck, 25.10.16 - Gewalt, Krieg und Flucht bestimmen täglich Politik, Gesellschaft und sozialen Medien. Auch filmisch werden Erlebnisse und Bilder von Kriegs- und Krisengebieten andernorts und in Europa verarbeitet. Im Unterschied zu den täglichen Medienfluten schauen die Filme, die wir im Dokumentarfilmprogramm der 58. Nordischen Filmtage Lübeck präsentieren, genauer und länger hin, zeigen persönliche Schicksale und geben ihren Protagonisten ein Gesicht und eine Stimme.
In „Les Sauteurs (Those Who Jump)“ werden der Gewaltkontext und die Kriegskonsequenzen durch die Filmarbeit besonders eindringlich erfahrbar und erlebbar gemacht. Als Moritz Siebert und Estephan Wagner mit der Arbeit an einem Film über Flüchtende am Grenzzaum der spanischen Exklave Melilla beginnen, ist es für die Regisseure entscheidend, dass der Film vorbehaltlos die Perspektive ihrer Protagonisten einnimmt und nicht „über” sie berichtet. Der aus Mali kommende Abou Bakar Sidibé, dem sie dafür eine Kamera in die Hand geben, wird zum Protagonisten und schließlich zum Ko-Regisseur des Films. Die drei Filmemacher präsentieren die Entstehungsgeschichte ihrer außergewöhnlichen Zusammenarbeit dem Lübecker Publikum und in einer „Masterclass Dokumentarfilm“.
Einen ähnlichen Ansatz wählte auch George Kurian, der in Ägypten eine Gruppe syrischer Freunde kennenlernte und ihnen für „Die Überfahrt“ nach Italien in einem überfüllten Boot die Kamera anvertraute. Um nach Europa zu gelangen muss man nicht in jedem Fall das Mittelmeer überqueren; manchmal ist es auch der Indische Ozean. Auf der Inselgruppe der Komoren, zwischen Mosambik und Madagaskar gelegen, bauen die Bewohner kleine fragile Boote aus Fiberglas, „Kwassa Kwassa“, zum Fischfang und um Menschen nach Europa zu bringen, denn Mayotte, eine der vier Hauptinseln, gehört zu Frankreich. Ein poetischer Kommentar und lange Kameraeinstellungen aus der Höhe auf das das offene Meer lassen die Gedanken der Zuschauer ganz von selbst um gefährliche Überfahrten kreisen.
Wie kriegerische Auseinandersetzungen auch in Europa das Leben der Menschen beinträchtigen, zeigt Vitaly Mansky in „Familienbande“ am Beispiel seiner eigenen Familie in der Ukraine. Ein Jahr lang begleitete er Verwandte in Lwiw und Odessa, auf der Krim und im Donbass Gebiet, um deren Geschichte zu erzählen und nach Gründen des Konflikts zu suchen, nachdem sie sich auf unterschiedlichen Seiten der Barrikaden wiederfinden.
Neben dem Fokus auf Flucht und Kriegsgewalt präsentiert das Dokumentarfilmprogramm faszinierende Portraits von außergewöhnlichen Menschen: Dass Hip-Hop ein unverzichtbares Ausdrucksmittel für den jungen Sami Nils aka SlinCraze im Hochland Norwegens ist, lässt sich in „Arctic Superstar“ nachverfolgen. Der estnische Beitrag „Aus der Mode“ von Jaak Kilmi und Lennart Laberenz zeigt, wie die junge Designerin Reet Aus der Modeindustrie, die auf Fast Fashion, Ausbeutung und Umweltzerstörung beruht, ein kreatives Upcycling-Konzept entgegensetzt. Ein ideenreicher Erneuerer der nordischen Küche ist der Sternekoch René Redzepi, den Pierre Deschamps in „Noma – My Perfect Storm“ porträtiert. Erfrischend ist, trotz temperierter Thermalquellen, der isländische Dokumentarfilm „Heiße Wanne“, in dem man Gesprächen von Isländern vom Beckenrand aus lauschen kann. Dass Island nicht nur Bade-, sondern auch Fußballkultur zu bieten hat, wird eindrucksvoll deutlich in der Dokumentation „Wie ein Vulkan – Der Aufstieg des isländischen Fußballs“ von Sævar Gudmundsson, der die isländische Nationalmannschaft durch die Qualifikation zur Fußball EM begleitet hat. In einer besonderen Machart präsentiert sich eine Dokumentation über drei Menschen und ihrer Sucht nach Videospielen. Zu sehen sind in „Ich war ein Gewinner“ des schwedischen Regisseurs Jonas Odell die computeranimierten Figuren und Räume, die sie in ihren Bann gezogen haben. Eine spannende Lebens- und Erfolgsgeschichte erzählt Benjamin Ree in „Magnus – Der Mozart des Schachs“ über Norwegens Schachwunderkind Magnus Carlsen, der im nervenaufreibenden Kampf um seinen ersten Weltmeistertitel steht.
Das diesjährige Dokumentarfilmprogramm zeigt, dass es gerade Einzelne sind, die etwas bewirken, Prozesse in Gang setzen und im Alltag, in der Kunst und in der Mode, in der Gastronomie und im Sport Außergewöhnliches leisten. Außerdem gibt es ein Wiedersehen mit zwei Meistern des Genres, die sowohl in der Retrospektive als auch im Dokumentarfilmprogramm vertreten sind: Jon Bang Carlsen sorgt für ein „Déjà Vu“, während Jouko Aaltonen uns in die „Tempel der Träume“ mitnimmt.
Zeit für Perspektivwechsel und interkulturellen Austausch bleibt neben den filmischen Darbietungen und Gesprächen mit Schauspielern und Regisseuren zudem in der Crisis Cuisine bei genussvoller Küche von Menschen unterschiedlicher Kulturen von Donnerstag, 03.11. bis Samstag , 05.11 im Zeitraum von 12:00 bis 17:00 Uhr im Altstadtbad Krähenteich, Lübeck.
Seit dem 22.10.16 steht das komplette Programm der Filmtage online auf www.filmtage.luebeck.de, der Kartenvorverkauf für die 58. Festivalausgabe startet am 29. Oktober um 15 Uhr im CineStar Filmpalast Stadthalle und online auf der Filmtage Homepage wie auch auf www.cinestar.de
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