In Litauen wurden in diesem Jahr
zwei Spielfilme produziert. Zum einen ìDas Haus" des
Regisseurs Sarunas Bartas, dessen Film "Der Korridor" im
vergangenen Jahr bei den Nordischen Filmtagen gezeigt wurde. "Das
Haus" wurde im Rahmen des Programms "Un Certain Regard"
in Cannes aufgeführt. Den anderen Film hat ein Regisseur der
mittleren Generation gedreht: Algimantas Puipa, der bereits häufig
in Lübeck zu Gast war. Sein neues Werk "Die Wolfszahnkette"
wird bei den diesjährigen Nordischen Filmtagen gezeigt. Beide
Filme vertreten auf ziemlich unterschiedliche Weise die Ästhetik
der Realitätswahrnehmung. Die schwarzweiße, stumme Welt in
Bartas Film vermittelt Hoffnungslosigkeit und keine Chance auf einen
Ausweg. Dagegen läßt der malerische, farbenreiche Film von
Algimantas Puipa noch ein wenig Hoffnung, daß der Mensch lebt,
versteht und daher imstande ist, etwas zu ändern. Vielleicht
kommt es auf dem Kreuzweg der Generationen auch zu einer Lösung
der Schlüsselfrage des litauischen Films: ob man in der
selbstkreierten ästhetischen Realität leben oder doch eine Ästhetik
in der Realität finden sollte. Während der "alte"
litauische Film nach einem festen dramaturgischen Stoff suchte, in die
Geschichte durch einen Konflikt, eine Charakterauseinandersetzung
eindrang, verstehen die Jungen den Film eher als ein persönliches
Experiment, ein expressives und intensives Bild, unter dem kaum spürbar
das Sujet pulsiert. Sowohl der Spiel- als auch der Dokumentarfilm wird
ausschließlich experimentell. Objektiv gesehen, entfernt sich
der litauische Film von allem, was im realen Leben vorgeht. Besonders
überraschend tritt dieser Trend im Dokumentarfilm zu Tage. Wahrscheinlich
ist dies der Grund, warum sich in diesem Jahr die in Vilnius
veranstaltete Retrospektive alter litauischer Filme eines riesigen
Zuschauerandrangs erfreute. Lange Zeit lehnte der litauische Verleiher
litauische Filme ab mit der Begründung, keiner wolle sie sehen.
Plötzlich hat sich herausgestellt, daß das Publikum diese
Filme doch sehen will und sogar geradezu begehrt. Die Ermüdung
durch zweitklassige und rein kommerzielle amerikanische
Filmproduktionen weckte die Sehnsucht nach dem eigenen Film.
Prof.
Dr. Grazina Arlickaite |
Two feature films were produced in
Lithuania this year. The one is "The House", directed by
Sarunas Bartas, Both films, in very different ways, represent the
aesthetics of the perception of reality. The black-and-white, silent
world of Bartasí film conveys hopelessness, providing no chance
of escape. By contrast, the picturesque, colourful film by Algimantas
Puipa leaves room for some hope that man is alive, comprehends and is
able to change things. Perhaps an answer to the key question of
Lithuanian film can be found at the crossroads of the generations:
whether it is possible to live in the self-created aesthetic reality
or whether an aesthetic concept should be found in reality. Whereas
the "old" Lithuanian cinema searched for a concrete
dramaturgical subject matter and entered into the story through a
conflict or a confrontation of characters, the younger generation sees
film more as a personal experiment, an expressive and intensive image
under which the pulsing of the subject matter can barely be felt. Both
feature films and documentaries have become purely experimental. Seen
objectively, Lithuanian film is distancing itself from real life. It
is especially surprising to find this trend in documentary films as
well. This is probably the reason why the retrospective of
Lithuanian films put on in Vilnius this year attracted such huge
crowds of viewers. For a long time Lithuanian distributors refused to
take Lithuanian films because they said nobody wanted to see them. It
suddenly turns out that the audience wants to see these films after
all and even demands them. The weariness brought about by second-rate
and purely commercial American film productions awakens a longing for
our own films.
Prof. Dr. Grazina Alickaite |