5. Oktober 1995

Nordische Filmtage Lübeck: Premieren, Preise und prominente Gäste

LÜBECK. Im Mittelpunkt der 37. Nordischen Filmtage Lübeck, die in der Zeit vom 2.-5. November stattfinden, steht die deutsche Uraufführung von Liv Ullmanns neuestem Film "Kristin Lavransdatter". Das Werk der norwegischen Nobelpreisträgerin Sigrid Undset, das im 13. Jahrhundert spielt und als norwegisches Nationalepos gilt, ist nach "Sofie" der zweite Spielfilm in der Regie der weltbekannten norwegischen Schauspielerin und UNICEF-Botschafterin. Der Schwede Sven Nykvist, der mit so gut wie allen berühmten Regisseuren dieser Welt zusammengearbeitet hat, stand bei "Kristin Lavransdatter" hinter der Kamera.

"Kristin Lavransdatter" erlebte beim diesjährigen Norwegischen Filmfestival in Haugesund Ende August in Anwesenheit der norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland seine Premiere. Gro Harlem Brundtland sagte nach der Vorstellung, sie habe beim Besuch des Films Tränen in den Augen gehabt. In Norwegen ist "Kristin Lavransdatter" mit 300.000 Besuchern und Besucherinnen innerhalb von vier Wochen zum großen Publikumserfolg geworden. Für die Deutschlandpremiere bei den Nordischen Filmtagen Lübeck ist der Film mit deutschen Untertiteln versehen worden.

Offiziell eröffnet werden die Nordischen Filmtage Lübeck am Freitag, 3. November, durch die Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, Marianne Tidick. Eröffnungsfilm ist die schwedisch-dänische Co-Produktion "Pensionat Oskar" in der Regie von Susanne Bier. Die gebürtige Dänin, die in Schweden und Dänemark arbeitet, ist bei den Nordischen Filmtagen bestens bekannt. Mit ihren Filmen "Brief an Jonas" und "Freud zieht von zuhause aus" war sie bereits auf dem Festival vertreten. Darüber hinaus gehörte sie vor zwei Jahren der NDR-Jury an.

Ein weiterer Höhepunkt ist der Film "Sunset Boys" von Leidulv Risan. Er beschreibt eine langjährige Freundschaft von vier ehemaligen Medizinstudenten. Nach langer Zeit treffen die inzwischen angegrauten Ärzte wieder zusammen, um ein Versprechen einzulösen, das sie sich während der Unizeit gegeben haben. "Ich würde den Film als ein Drama bezeichnen, daß sowohl Elemente der absurden Komödie als auch des Thrillers aufweist. Zudem ist es eine Liebesgeschichtete", erklärt Regisseur Risan. Präsentiert wird der Film auf dem Festival von einem der Hauptdarsteller: Erland Josephson. Internationalen Ruhm erhielt er an der Seite von Liv Ullmann in dem Bergman-Epos "Szenen einer Ehe". Der profilierte Schauspieler und Schriftsteller, der unter anderem auch mit Andrej Tarkowskij, Liliane Cavani und Peter Brook zusammengearbeitet hat, ist bereits zum zweiten Mal in Lübeck. "Wir sind sehr stolz, Erland Josephson auf den diesjährigen Filmtagen als Ehrengast begrüßen zu dürfen", so Andrea Kunsemüller, Künstlerische Leiterin des Filmfestivals.

Auffallend ist, daß die nordischen Länder immer enger auch auf dem Gebiet des Films zusammenarbeiten. So sind viele der Filme, die auf den Nordischen Filmtagen Lübeck gezeigt werden, nordische Co-Produktionen. Sie sind nicht zuletzt mit Hilfe des vor fünf Jahren gegründeten und in Oslo ansässigen Nordischen Film- & TV-Fonds entstanden, der in diesem Jahr unter seinem neuen Leiter Dag Alveberg erstmals die Nordischen Filmtage Lübeck mit 200.000 Nkr (rund 50.000 DM) unterstützt.

"Wir werten dies als Zeichen der Anerkennung unserer Arbeit durch die nordischen Länder. Die Nordischen Filmtage Lübeck sind nun schon zum 37. Mal Schaufenster für den nordischen Film in Deutschland, und diese Position gilt es mit aktiver Unterstützung der nordischen Länder auszubauen. Nur gemeinsam können wir ein Forum für den Film aus Nordeuropa in Deutschland schaffen", erklärte Andrea Kunsemüller.

Norwegen ist in diesem Jahr sehr stark auf den Nordischen Filmtagen vertreten. Der Jugendfilm "Zehn Messer im Herzen" von Marius Holst, der bereits bei den Berliner Filmfestspielen zu sehen war, und der Spielfilm "Eggs" von Bent Hamer sind ebenso im Programm wie die Dokumentation "Zeit der Dunkelheit" von Karoline Frogner. Die Fernsehautorin Karoline Frogner behandelt in dieser Dokumentation mit Spielfilmhandlung das Schicksal von norwegischen Frauen, die während der Nazi-Herrschaft im deutschen Konzentrationslager Ravensbrück interniert waren.

Den traditionellen Auftakt des Festivals bildet wieder das Filmforum Schleswig-Holstein. Es wird am Donnerstag, 2. November, mit dem Film "Der Fall Cap Arcona" von Karl Hermann und Günter Klaucke eröffnet. Der Dokumentarfilm beleuchtet die Hintergünde der größten Schiffskatastrophe in der Ostsee. Kurz vor Kriegsende im Mai 1945 kamen bei einem Angriff der britischen Royal Air Force mehr als 7.000 Häftlinge aus deutschen Konzentrationslagern ums Leben. Sie waren in der Neustädter Bucht von der SS auf drei Schiffe verteilt worden, darunter auch die "Cap Arcona". Als Recherche-Grundlage dienten bisher unbekanntes Archivmaterial sowie Gespräche mit Überlebenden und Zeitzeugen.

Insgesamt werden vom 2.-5. November wieder die neuesten Produktionen aus Skandinavien, dem Baltikum und aus Schleswig-Holstein gezeigt. Darunter finden sich gleichermaßen Spiel- und Dokumentarfilme, Kurzfilme und Zeichentrickproduktionen sowie Kinder- und Jugendfilme. Für letztere steht das Jahr 1995 im Zeichen der Veränderung. Neue Namen beherrschen die Szene. So sind die meisten Filme Debüts von jungen Regisseurinnen und Regisseuren, beispielsweise der Eröffnungsfilm "Anton" von dem 25jährigen Dänen Aage Toft Rais. Der Film beschreibt die Schwierigkeiten eines kleinen Jungen, der den Verlust seines Vaters bewältigen muß.

Das Hauptaugemerk wird auch in diesem Jahr wieder auf dem Wettbewerb um den NDR-Förderpreis liegen. Neun Filme wetteifern um den "Optimus", der Siegestrophäe, und natürlich um die Prämie in Höhe von 25.000 Mark. Zur Jury zählt diesmal auch der schwedische Regisseur Daniel Bergman. Er ist nicht zum ersten Mal Gast der Nordischen Filmtage Lübeck. 1991 war der 33jährige mit dem Kurzfilm "Chopchopchopchopchop" vertreten, und 1993 präsentierten die Nordischen Filmtage Lübeck seinen ersten Spielfilm "Sonntagskinder", dessen Manuskript sein Vater Ingmar Bergman schrieb.

Neben dem NDR-Förderpreis gibt es fünf weitere Preise für die verschiedenesiedenen Genres des Festivals. Der Drehbuchpreis von SOURCES wird für einen Nachwuchsfilm aus den nordischen Ländern, dem Baltikum oder Schleswig-Holstein vergeben. Der Gewinner nimmt an einem hochkarätigen Drehbuchseminar vom SOURCES im Gegenwert von 2.000 ECU (rund 4.000 Mark) teil. Die Amsterdamer Organisation, gefördert aus dem MEDIA-Programm der EU und der niederländischen Regierung, hat sich zur Aufgabe gesetzt, den Standard europäischer Film- und Fernsehproduktionen zu optimieren. Allerdings läuft das MEDIA-Programm in dieser Form Ende des Jahres aus. Wie es weitergeht, ist noch unbestimmt.

Weitere Preise sind der mit 5.000 Mark dotierte Publikumspreis der Lübecker Nachrichten für einen Spielfilm aus den nordischen Ländern, der Dokumentarfilmpreis der IG-Metall Lübeck, ebenfalls in Höhe von 5.000 DM sowie der Kinderfilm-Preis der Nordischen Filminstitute und der Ehrenpreis der Baltischen Filmschaffenden.

Die Nordischen Filmtage Lübeck sind zum zweiten Mal zu Gast im Filmpalast Stadthalle. Neben den Film-Vorführungen ist dort auch eine Austellung schwedischer Stummfilmplakate zu sehen. Anläßlich der Feierlichkeiten zum 100jährigen Bestehen des Kinos in diesem Jahr hat das schwedische Filminstitut die Kinoplakate in einem aufwendigen Verfahren nach Originalen aus dem Archiv des Instituts fotografisch reproduziert. Die Serie beginnt mit dem allerersten schwedischen Filmplakat vom Mai 1897, es folgen unter anderem Klassiker wie Mauritz Stillers "Erotikon" (1920) und "Gösta Berlings Saga" (1924) sowie Georg af Klerckers "Nachtmusik" aus dem Jahre 1918.

Die 37. Nordischen Filmtage Lübeck enden am Sonntag, 5. November, mit der feierlichen Preisverleihung in Anwesenheit von Ministerpräsidentin Heide Simonis. +++



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