An den Masten vor dem Lübecker Filmpalast "Stadthalle" wehen die Fahnen der skandinavischen Staaten im eisigen Herbstwind: Alljährlich Anfang November schlüpft die sonst eher betuliche Hansestadt an der Trave für vier Tage in die Rolle einer Filmmetropole Skandinaviens. "Die 37. Nordischen Filmtage, die am Sonntag in Lübeck zu Ende gingen", sagt Andrea Kunsemüller, künstlerische Leiterin des Festivals, "machten den Zwang zu immer mehr skandinavischen Co-Produktionen offenkundig". Deutlich werde, daß der skandinavische wie auch der deutsche Film, zunehmend am "Tropf des Fernsehens hängen". In Skandinavien würden nahezu 90 Prozent der Filme gemeinsam mit dem Fernsehen produziert. In Deutschland seien es rund 80 Prozent.
Die große Zeit des skandinavischen Films mit internationalen, auch kommerziellen Erfolgen, dies wurde in Lübeck wieder einmal deutlich, scheint allerdings ebenso vorbei zu sein wie die des europäischen Films schlechthin. Das Festival, als Schau über das aktuelle Filmschaffen in Skandinavien, probe, so Kunsemüller, alljährlich den "Spagat zwischen dem anspruchsvollen und populären Film".
Der Name des einst nicht nur in den nordischen Ländern die Filmwelt überstrahlenden schwedischen Filmregisseurs Ingmar Bergman, dessen anspruchsvolle Filme zum Teil auch populär und damit nicht nur zu einem künstlerischen sondern auch finanziellen Erfolg wurden, ist nur noch Legende. Unter den skandinavischen Filmproduktionen waren bei diesem wohl wichtigsten Überblick über das aktuelle Filmangebot Skandinaviens in Deutschland in diesem Jahr nur wenige, denen ein internationaler Durchbruch gelingen könnte. Die Dominanz Hollywoods und des amerikanischen Films im internationalen Filmgeschäft ließ auch in Lübeck wieder einmal grüßen. "Die Amerikaner stecken allein in Deutschland zwei Millionen Dollar in die Werbung für ihre Filme" , sagt Kunsemüller.
Indirekt ist der skandinavische "Film-Übervater" Ingmar Bergman auf dem Festival in Lübeck, das er trotz zahlreicher Einladungen nie besuchte, stets präsent. Viele der in Lübeck gezeigten Streifen, erinnerten, wie schon in den Vorjahren, an seine Handschrift. Präsent war Bergman auf dem Festival diesmal auch in der Gestalt seines Sohnes Daniel, der in der Jury für die Vergabe der Filmpreise saß und in Lübeck schon 1991 einen von ihm gedrehten Kurzfilm gezeigt hatte.
Auch das Leben des Stargastes des diesjährigen Festivals, der norwegischen Schauspielerin und Regisseurin Liv Ullmann, ist eng mit seinem Namen verknüpft. Sie war nicht nur seine langjährige Lebensgefährtin, er machte sie zum Weltstar. Selbst die Retrospektive, seit Jahren treuer Wegbegleiter des Festivals, die den skandinavischen Stummfilmgregisseuer Georg af Klercker gewidmet war, ging diesmal auf Bergman zurück. Er hatte den 'Altmeister" des schwedischen Films wiederentdeckt und einige seiner erhaltenen Filme restaurieren lassen.
Starrummel um Liv Ullmann, die in Lübeck der deutschen Erstaufführung des zweiten unter ihrer Regie entstandenen Spielfilmes beiwohnte, und ein Empfang für die Schauspielerin, Regisseurin und UNICEF-Botschafterin im Rathaus zeigten, daß das einst als "Familienfest des skandinavischen Films" apostrophierte Festival mit seinen diesmal in Lübeck gezeigten 65 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen sowie seinen sechs zu vergebenden Filmpreisen längst erwachsen geworden ist. "Wir sind", sagt Andrea Kunsemüller, die seit acht Jahren die Filmtage in Lübeck künstlerisch leitet, "das wichtigste Schaufenster und Testmarkt für den skandinavischen Film in Deutschland. Diese Position wollen wir mit aktiver Unterstützung der nordischen Länder in Zukunft noch ausbauen".
Finanziell scheinen die Nordischen Filmtage in Lübeck noch für die kommenden Jahre abgesichert zu sein. Zwar ist das Stadtsäckel der Hansestadt leer, und die Mittel aus der Zonenrandförderung für das Festival mit der Wiedervereinigung entfallen. "Wir werden die nächsten Jahre nur überstehen, wenn EU und Land in diese Förderlücke eintreten", meint Lübecks Kultursenator Ulrich Meyenborg (SPD). Den Gesamtetat des Festivals von rund einer halben Millionen Mark sponsert der Norddeutsche Rundfunk (NDR) gegenwärtig noch mit 230 000 Mark. +++
Quelle: Peter Martell, Deutsche Presse Agentur (dpa) vom 6. November 1995
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