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Film als Erforschung der Wirklichkeit | Film as an Exploration of Reality
 
Jan Troell ist eine legendäre Figur des europäischen und skandinavischen Kinos - ein Filmemacher, dessen Werke eine unverwechselbare Handschrift besitzen und von einer eigenwilligen Autorenschaft geprägt sind. Troell ist während der ganzen Spanne seines Schaffens über vier Jahrzehnte hinweg sich selbst und seinen Zielsetzungen treu geblieben.
Seine Filme leben oft aus einem autobiografischen und einem sozialkritischen Impuls. Sie sind scharfe Analysen psychischer und sozialer Strukturen. So schon in Troells Anfangszeit mit "Hier hast du dein Leben" ("Här har du ditt liv", 1966) und "Raus bist du" ("Ole Dole Doff", 1968), in welchen er seine eigenen Erfahrungen als Lehrer reflektierte und von diesen Lebensumständen ein nahezu albtraumartiges Bild entwarf.
Eine andere Richtung in Troells Schaffen ist das große historische Fresko, als welches die Doppelfilme "Emigranten" ("Utvandrarna", 1971) und "Das neue Land" ("Nybyggarna", 1972) gelten können. Troell zeichnete in diesen Filmen ein wichtiges Kapitel aus der Geschichte seines Landes nach, er verfolgte die Odyssee verarmter Bauern gegen Mitte des 19. Jahrhunderts, die aus der schwedischen Region Småland nach Amerika auswandern. Hier wurde schon Troells charakteristischer Stil deutlich, der sich allen Versuchungen des Spektakulären verweigert und poetische Verdichtung alltäglicher Ereignisse anstrebt. Troells "Emigranten" wurden wegen ihrer ausgeprägten visuellen Sprache von der Kritik mit den Filmen Flahertys, aber auch mit Tarkowskijs "Andrej Rubijow" in Verbindung gebracht.
Eine Odyssee anderer Art beschrieb Troell in "Der Flug des Adlers" ("Ingenjör Andrées luftfärd", 1982): den unglücklichen Versuch einer schwedischen Expedition von drei Männern unter der Leitung des Ingenieurs Salomon August Andrée, im Jahr 1897 mit einem Ballon den Nordpol zu erreichen. Troell interessiert sich für die Vision eines einzelnen, ein weitgestecktes, unmöglich erscheinendes Ziel zu erreichen, an dem er schließlich scheitert. Aber auch der sozialen und psychologischen Analyse der Ausgangssituation widmet sich der Film, und vor allem der optischen und regielichen Ausdeutung und Beschreibung der Luftreise mit ihrem katastrophalen Ausgang. Eine Besonderheit dieses Films ist die Verbindung von dokumentarischem Filmmaterial der Expedition, das erst viel später aufgefunden wurde, mit der inszenierten Fiktion. Auf das Luftfahrtabenteuer kam Troell später noch ein zweites Mal zurück mit "Der gefrorene Traum" ("En frusen dröm", 1997). Beide Male spielte Max von Sydow die Hauptrolle. Dass Film für Jan Troell die Erforschung der Wirklichkeit bedeutet, beweist er insbesondere mit seinem großartigen Dokumentarfilm "Das Märchenland" ("Sagolandet", 1988). Der Ausgangspunkt war ein ganz persönlicher: Der Regisseur stellt die Frage, in welcher Welt seine 1983 geborene Tochter einmal wird leben müssen. Troell untersucht in "Das Märchenland" die Struktur des schwedischen Wohlfahrtstaates. Er beobachtete zwei Jahre lang Menschen in Schweden mit seiner Kamera: zwei Holzfäller, die bei der Zerstörung der Landschaft mitwirken; einen früheren Motorrad-Rennfahrer, der heute Hundetöter ist; einen fanatischen Umweltschützer, der die Herkulesstaude ausrotten will, weil sie eine ausländische Pflanze ist; eine von einer Landkommune übriggebliebene Familie auf einem Einödbauernhof; einen Legehennenzüchter, der die männlichen Küken nicht gebrauchen kann. Troells skeptische Frage lautet: "Bin ich wirklich so glücklich, ein Schwede zu sein?"
Aus Troells späterem Schaffen möchte ich noch den Film "Hamsun" (1996) herausgreifen, ein Porträt des Dichters, aber vor allem eine interessante und vielschichtige Evokation von Knut Hamsuns Beziehungen zum NS-Regime und die Geschichte seiner Ächtung. Brillant ist die Szene mit Hitler, gelungen die Porträts von Quisling und dem deutschen Statthalter. Auch durch die Interpretation der Hauptrolle durch Max von Sydow erlangt der Film, der sich mit Mut einem heiklen politischen Thema nähert, eine bemerkenswerte Dichte.
Jedes Werk von Jan Troell ist die Studie eines bestimmten Sujets oder einer Person, immer aber ist diese Studie eingebettet in ein soziales und politisches Panorama der Zeitumstände. Ganz offensichtlich geht es Troell nicht zuletzt um die Wirkung seiner Filme als Instrument von Aufklärung. Seine Kamera ist so dicht an der Wirklichkeit, dass er oft die dokumentarische Form bevorzugt. Dann wieder entfernt er sich in einer dialektischen Bewegung von der Wirklichkeit, um eine Verdichtung herzustellen, einen poetischen oder visionären Aspekt herauszuarbeiten - der dann wieder auf den Ausgangspunkt, die dargestellte Wirklichkeit und ihren Kontext, zurückgelenkt wird.
Diese Verklammerung gegensätzlicher Methoden, die immer deutliche Inspiration von autobiografischen Momenten oder eigener Beobachtung und sein Verfahren der Verdichtung, Überhöhung, mit dem Ziel einer kritischen Analyse - das sind einige Wesenszüge der filmischen Handschrift Jan Troells, die seine Position in der Welt-Kinematografie definieren.
 
Ulrich Gregor
 
 
 
Jan Troell is a legendary figure of European and Scandinavian cinema, a filmmaker whose works bear the distinctive signature of his singular authorship. Throughout the entire four decades of his career, he has remained true to himself and his aims.
His films often have an autobiographical and socially critical basis. They are keen analyses of psychological and social structures. This is evident even in such early works as "Here's Your Life" ("Här har du ditt liv", 1966) and "Eeny Meeny Miny Moe" ("Ole Dole Doff", 1968), in which he reflected his own experience as a teacher in almost nightmarish terms.
Another aspect of Troell's work is the sweeping historical fresco, as manifested in his double films "The Emigrants" ("Utvandrarna", 1971) and "The New Land" ("Nybyggarna", 1972). In these films, Troell traces an important chapter in the history of his homeland, charting the journey undertaken by the impoverished Swedish peasants of mid-nineteenth century Småland in search of a new life in America. Already, Troell's distinctive style is evident here, eschewing all things spectacular and seeking a lyrical concentration of everyday events. The powerful imagery of Troell's "Emigrants" has been compared with the films of Flaherty and even with Tarkowskij's "Andrej Rubijow". "The Flight of the Eagle" ("Ingenjör Andrées Luftfärd", 1982) tells of a very different journey: the doomed expedition to reach the North Pole in a hot-air balloon, led by the engineer Salomon August in 1897. Troell is interested in the vision of reaching a single, far-off, seemingly impossible goal, and its failure. The film also examines the social and psychological analysis of the starting situation, and focuses closely of the visual aspect of the ill-fated balloon journey. This film is an unusual blend of documentary footage of the expedition, found much later, and staged fiction. Troell was to return to the theme of aviation with his film "The Frozen Dream" ("En frusen dröm", 1997). Max von Sydow played the lead role in both films. Jan Troell's notion of film as the exploration of reality is particularly evident in his magnificent documentary "Land of Dreams" ("Sagolandet", 1988). The film has a profoundly personal origin: the director wondered what kind of a world his little daughter, born in 1983, would have to live in. In "Land of Dreams" Troell explores the structures of the Swedish welfare state. For two years, he observed people in Sweden with his camera: two woodcutters involved in destroying the natural landscape; a former racing motorcyclist who now puts down dogs, a fanatical eco-warrior who wants to get rid of non-native flora, a family on a remote country farm that was once a rural commune, a laying-hen breeder who has no use for male chickens. Troell's sceptical question is "Am I really glad to be Swedish?"
Among Troell's later films, I would like to point out "Hamsun" (1996). It is a portrait of the writer Knut Hamsun that takes a fascinating and many-faceted look at his fall from grace in the context of his attitude to the Nazi regime. The film includes a brilliant scene with Hitler and a superbly crafted portrait of Quisling and the German stadholder. With Max von Sydow in the leading role, this courageous film grasps the political nettle with remarkably cohesive intensity.
Every film by Jan Troell is a study of a particular subject or person. It is a study set within a social and political panorama of the time. Clearly, Troell is interested in using film as a consciousness-raising instrument. His camerawork is so close to reality that he often chooses the documentary form, only to break away from reality again in a dialetical approach that allows him to condense an issue or craft a lyrical, visionary aspect, before returning once more to the portrayal of reality and its context.
Bracketing contrasting methods in this way, drawing upon autobiographical moments and personal observations, and intensifying or heightening certain aspects in the interest of critical analysis are among the essential hallmarks of Jan Troell's films. It is these hallmarks that clearly define his position in the world of cinema.
 
Ulrich Gregor


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